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Endspurt

Mein letzter Tag in Washington, den ich zum Aufräumen und Packen brauche. Morgen fahre ich nach Baltimore und gebe mein Womo im Hafen zur Rückverschiffung ab.

 

Zeit also für ein Fazit.

 

5 Monate in einem Land unterwegs zu sein, hat wenig mit Urlaub zu tun. Man kann nicht jeden Tag Sightseeing machen und man kann sich erst recht nicht bequem zurücklehnen. Jeder Tag bringt etwas Neues und nicht immer etwas Erfreuliches. Um alles muss man sich selber kümmern, was besonders für Probleme gilt. Dafür hat man die große Freiheit, auch jeden Tag neu zu entscheiden, wonach einem der Sinn steht. Und man hat die einmalige Gelegenheit, in eine Kultur wirklich einzutauchen, nämlich den Alltag zu erleben. Das wird einem auf Reisen nur selten gelingen.

Ich bin mit Amerikanern überall ins Gespräch gekommen. Sei es auf dem Campground, beim Tanken, beim Einkaufen oder im Bus. Die Freundlichkeit und Höflichkeit, die ganz selbstverständlich sind, werde ich sicherlich vermissen. Genauso die vielen Tipps, mit denen ich reichlich versorgt wurde und aus denen sich immer nette Gespräche ergeben haben.

 

Was ich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vermissen werde, ist das Essen hier. Dazu habe ich mich schon mal ausführlich ausgelassen und daran hat sich auch nichts geändert. Von EssKultur kann man meines Erachtens nicht sprechen, das ist bestenfalls Nahrungsaufnahme. Die Mehrheit der Amerikaner ißt zu viel, zu fettig, zu süß und ohne wirklichen Genuss. Kein Wunder, dass sie ein Problem mit massivem Übergewicht haben und das zeigt sich überall.

Patriotismus habe ich nicht mit der Keule serviert erlebt, sondern eher subtil. Natürlich, die Fahnen flattern von allem, was man sich vorstellen kann. Viele Häuser haben ganz selbstverständlich die Flagge gehisst und sogar auf dem Campground haben einige sie an ihrem Fahrzeug oder vor der site in den Boden gesteckt. Hier in Washington, DC, ist die Dichte nochmal erhöht, weil an jedem öffentlichen Gebäude mehrere wehen. Da fast alle Gebäude öffentlich sind, hat man sie also ständig vor Augen.

 

Dieser Stolz auf Amerika wird von klein auf eingetrimmt, so dass sich für die meisten irgendwann gar nicht mehr die Frage stellt, ob das immer so richtig ist. Das fängt schon bei den Knirpsen im Junior Park Ranger Programm an. Die Idee, die Kinder mit den Regeln eines vernünftigen Umgangs mit der Natur bekannt zu machen, ist richtig. Sie aber nachher eine Verpflichtung sprechen zu lassen, die dem Ritus eines Schwurs gleich kommt, macht mich als Deutsche echt nervös. Amerikanische Eltern lächeln nur glückselig, während mir die Nackenhaare hochgingen.

Zumal das Ganze offensichtlich wenig fruchtet, denn Umweltbewußtsein ist, wenn überhaupt, nur rudimentär vorhanden. In den Nationalparks sind die Ranger hinter der Einhaltung der Regeln her wie der Teufel hinter der armen Seele, so dass dort kein Müll in die Landschaft geworfen wird und sich die Mehrheit auch an das Gebot hält, nur auf den ausgewiesenen Wegen zu wandern. Wasser wird sparsamer eingesetzt, weil der Südwesten durch die anhaltende Dürre einfach dazu gezwungen wird. Außerhalb der Nationalparks sorgt das Programm „Adopt a Highway“ dafür, dass sich Privatpersonen um das Mülleinsammeln kümmern und im übrigen ist es in jedem Bundesstaat unter Strafe gestellt, Müll wegzuwerfen.

Davon abgesehen, verschwenden die Amerikaner Energie in einem Maße, das mich schlicht erschüttert. Das fängt an bei den Monsterwomos, die mich bis zum Schluss begleiten, über die hochtourigen Autos bis zu der Verschwendung von Plastik in allen Formen. Sei es über die Millionen von Plastikwasserflaschen, die Flut von Tüten im Supermarkt bis zu dem allgegenwärtigen Plastikgeschirr und -besteck.

 

In der Zeitung habe ich gelesen, dass ungefähr 11% der Privathaushalte noch keine Klimaanlage haben. Der Rest lässt sie Tag und Nacht laufen, egal, ob man da ist oder nicht. Hier auf dem Campground bleibt auch das Licht in vielen Womos tagsüber an, ob man da ist oder nicht. Nach meinem Eindruck stellt sich hier nicht die Frage, wie kann man Ressourcen einsparen und sinnvoll nutzen, sondern nur, wo bekomme ich sie her.

Während meiner Auszeit ist in Europa die Brexit-Entscheidung gefallen, das Attentat in Nizza, der Militärputsch in der Türkei und die Vorfälle in Deutschland. Auch in Amerika entlädt sich die Spannung in der Gesellschaft und dann immer mit Waffengewalt.

Das Hauptproblem hier ist mit Sicherheit immer noch das Verhältnis Weiß-Schwarz, aber das verdeckt nur, dass die Gesellschaft insgesamt auf einem sehr gefährlichen Kurs ist. Das hat der laufende Präsidentschaftswahlkampf mehr als deutlich gemacht. Die Art und Weise, wie sich die Kandidaten, allen voran Trump, angegriffen haben, war maßlos und unter der Gürtellinie. Ich habe Aufkleber gelesen, dass man alle Liberalen mit allen Mitteln bekämpfen muss. Der Parteitag der Republikaner geriet zu einer verbalen Schlägerei, als sich Anhänger und Gegner Trumps in die Haare gekriegt haben. Eine Richterin des Supreme Courts, des obersten Gerichts Amerikas, hat in einem Interview öffentlich ihre politische (negative) Meinung zu Trump geäußert und musste sich später dafür entschuldigen. Es herrscht ein Klima des gegenseitigen Bekämpfens und Verachtens. In einem solchen Klima kann kein Konsens stattfinden, nur ein Kampf jeder gegen jeden, was sich auch an dem Verhalten der Parteien zueinander deutlich zeigt. Genau wie in Europa ist auch hier derzeit alles auf Konfrontation ausgelegt, zum eigenen Vorteil. Leider ist aber die Mehrheit der Amerikaner bis an die Zähne mit Waffen versorgt, was mir in einem so aufgeheizten Klima große Sorgen machen würde. Ehrlich gesagt, ich möchte in keinem Land leben, wo man die berechtigte Sorge haben muss, ob das eigene Kind die Schulzeit überlebt.

Amerika hat unbestreitbar eine großartige Natur zu bieten. Die Nationalparks bewahren diese Landschaft und ich würde jederzeit wieder eine Tour durch die Parks machen. Zu keiner Zeit habe ich mich unsicher gefühlt, ich bin allerdings auch nicht nachts durch die Gegend gewandert und habe ausschließlich auf Campgrounds übernachtet. Dass ich allein unterwegs war, hat, glaube ich jedenfalls, einen deutlichen Vorteil eingebracht, denn ich bin immer wieder angesprochen worden. Gerade die Gespräche und Einladungen, die sich hieraus ergeben haben, werden mir immer in Erinnerung bleiben. Wären wir als Paar unterwegs gewesen, wären die anderen vielleicht zurückhaltender gewesen. Wobei nicht das deutsche Nummernschild der Aufhänger für Gespräche war, sondern das Wohnmobil selber, das es so in Amerika nicht gibt. Ich bin nicht nur auf den Campgrounds, sondern auch auf Supermärkten auf meine Kiste angesprochen worden und hätte es locker 5mal verkaufen können. Darüber hinaus hatte es einen hohen Wiedererkennungswert, denn ich habe oft gehört, dass man mich auch schon woanders gesehen hat.

Alles in allem kann ich ganz ehrlich sagen, dass sich diese 5 Monate gelohnt haben. Ich hatte eine tolle – langweilige – aufregende – wunderschöne Zeit hier und würde es jederzeit wieder machen.

Danke an Carole, die mich beim Auftakt und beim Ende der Reise großartig unterstützt hat.

Danke an Felix, für die nächtliche WhatsApp-Aktion zwischen Florida und Peking, um meinen Computer wieder neu aufzusetzen.

Danke an Debbie und Moshe für einen herrlich verregneten Nachmittag mit tollen Gesprächen.

Danke an Debbie, die mir ihr Bankkonto „geliehen“ hat, damit ich eine Rechnung bezahlen konnte.

Danke an Christa, die mich mit ihrem Brotrezept und dem Grundteig ausgerüstet hat.

Danke an die Familie Kohl, die mir ihre Ersatzwasserpumpe und einen Ölkanister überlassen hat.

Danke an Kevin und Olivia, die den Fehler in der Elektrik gefunden und mir ihre Ersatzsicherung geschenkt haben.

Danke an Rita, für die Übernachtung und den lustigen Abend mit meiner ersten Margaritta.

Danke an Elaine und Bud, für die beiden Tiersafaris und ihr unglaubliches Wissen.

Danke an Marilynn und Art, für ihre Gastfreundschaft und ein unvergessliches Wochenende.

Danke, für all die vielen Gespräche, die sich einfach so ergeben und die ich unglaublich genossen habe.

Und natürlich Dank an die gesamte Familie, allen voran meinen tollen Mann, die mich über WhatsApp immer wieder aufgemuntert, ausgelacht und bestärkt hat. Ich werde es euch allen angemessen vergelten!